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Vortrag von Herrn Schmid

- bis August 2006 Jugendrichter am Amtsgericht Göttingen -

Sehr verehrte Frau Ministerin,
Herr Landgerichtspräsident,
Herr Leitender Oberstaatsanwalt,
liebe Mitarbeiter des Vereins Ausgleich,
liebe Vertreter der verschiedenen Einrichtungen,
liebe Gäste!

Herr Bewährungshelfer Koch kam vor 10 Jahren zu mir ins Amtsgericht Göttingen und trug mir die Idee des Vereins Ausgleich vor, die er gemeinsam mit Frau Bewährungshelferin Reinhardt entwickelt hatte. Ich habe Herrn Koch ermuntert, diese Idee umzusetzen und habe meine Mitwirkung sofort zugesagt. Im Gegensatz zu vielen anderen war auch ich überzeugt und begeistert von dieser Idee.
Und nun hat mich der Verein Ausgleich gebeten, heute zum zehnjährigen Jubiläum einige Worte aus zehn Jahren guter Zusammenarbeit zu sagen. Dieser Bitte komme ich natürlich gerne nach.

Herr Koch und Frau Reinhardt waren es damals, die die grundlegenden Idee hatten und das Konzept und System vor allem mit Frau Kleuker von der Jugendgerichtshilfe der Stadt Göttingen und Herrn Schubert und der damaligen Mitarbeiterin Frau Dilling-Krabbes ausarbeiteten.
Als einer derjenigen, die die Geldauflagen oder gemeinnützige Arbeit durch Gerichtsbeschluss oder Urteil anordneten, war ich bis heute natürlich nicht selbst Mitglied des Vereins, habe aber als Jugendrichter mit meinen Kollegen Reitzenstein, später Scherrer und zuletzt Frau Ohlemacher durch entsprechende Auflagen von den Möglichkeiten des Vereins Ausgleich gerne und viel Gebrauch gemacht.
Insbesondere von den Entschädigten und Opfern habe ich sehr viel positive Rückmeldungen und Dank erhalten, wenn diese den Eingang des Geldes schriftlich oder telefonisch bestätigten.

Dieser Dank gebührte eigentlich Frau Reinhardt und Herrn Koch und vor allem den Mitarbeitern der Jugendgerichtshilfe. Diese haben oft mit hartnäckigem Einsatz die Arbeitsstunden vermittelt und schließlich durchgesetzt, nachdem dem Täter oft mehrmals Arrest oder eine neue Hauptverhandlung angedroht wurde.

Vor allem gebührt der Dank den Mitarbeitern aller Einsatzstellen, die oft mit großer Geduld die unzuverlässigen Jugendlichen und Heranwachsenden immer wieder einsetzten und betreuten. Erst durch ihren unermüdlichen Einsatz wurde der Erfolg ermöglicht.Ihnen sei heute besonderer Dank für ihr Engagement gesagt!
Wie heißt es in der Einladung? Ohne Euch geht’s nicht!

Die Einrichtungen, deren Mitarbeiter mit Idealismus und Gemeinsinn freiwillig und ehrenamtlich diese Jugendlichen und Heranwachsenden aber auch Erwachsene beschäftigen, sollten in Zukunft noch mehr Anteil an den von den Gerichten und der Staatsanwaltschaft verhängten Geldbußen zur Verbesserung ihrer Einsatzmöglichkeiten erhalten. Da es keinen allgemeinen Verteilungsschlüssel gibt, müssten die Richter und Staatsanwälte auf diesen Gesichtspunkt nochmals hingewiesen werden.

Ich habe die Möglichkeit des Schadensausgleichs als eine der wirkungsvollsten Maßnahmen im Jugendverfahren schätzen gelernt, wie auch meine Kollegen und auch Frau Staatsanwältin Freudenberg und ihre Kollegen Jugendstaatsanwälte.

Ermöglicht wurde die Arbeit des Vereins zunächst durch relativ hohe Zahlungsauflagen und Zuweisungen aus Steuerstrafsachen, die mein Kollege Herr Hoefer dankenswerter Weise veranlasste, der die Arbeit des Vereins Ausgleich ebenfalls hoch einschätzt.

Letztlich funktioniert das Prinzip des Vereins jedoch vor allem durch die absolut reibungslose gute Zusammenarbeit mit den Jugendgerichtshilfen von Stadt und Landkreis und den vielen Einsatzstellen und deren Mitarbeiter, die damit einen wichtigen Beitrag zur Prävention, Resozialisierung und Streitbefriedung leisten, wofür allen von dieser Stelle aus nochmals Dank gesagt sei.

Es soll hier keine einzelne Einrichtung der über 100 verschiedenen Einsatzstellen hervorgehoben werden. Aber ich kann Ihnen allen versichern, dass wir Ihren aufopferungsvollen Einsatz mit Aufmerksamkeit in jedem einzelnen Fall verfolgt haben und ihn zu schätzen wissen.

Lediglich aus organisatorischen Gründen und wegen der ohnehin hohen Arbeitsbelastung ist meist eine Rückmeldung oder Dank an die einzelnen Einsatzstellen unterblieben, was hier aber heute nachgeholt werden soll.

Es gibt immer wieder neue Ideen, Verbesserungen und Reformen im Strafverfahren und Jugendrecht, besonders Gesetze, welche die alte Strafprozessordnung von 1877 und das Jugendgerichtsgesetz von 1953 verbessern sollen, um das Strafrecht zeitgemäßer und modern zu gestalten.

Die meisten Reformen und Neuerungen finden aber erst nach langen wissenschaftlichen und politischen Diskussionen auf hoher politischer Ebene Eingang in die Gesetze und sollen wirksamer und zugleich auch zumindest kostenneutral sein, was letztlich kaum der Fall ist.

Den Gründern des Vereins Ausgleich ist jedoch etwas gelungen, was in der Praxis äußerst selten oder fast einmalig ist: Auf der Basis der bereits seit langem existierenden Gesetze und Vorschriften der StPO und des JGG haben sie ein Instrumentarium erfunden und geschaffen, welches gleichzeitig eine Vielzahl von Zielen des Straf- und Jugendrechts erfüllt und für den Staat nahezu kostenfrei ist und ohne staatliche Umorganisation auf Anhieb funktioniert hat.

Das Prinzip ist im Grunde denkbar einfach und einleuchtend und aus den hier aufgestellten Tafeln ersichtlich.

Es ist im wesentlichen die Kombination und Verbindung der Rechtsfolgen aus zwei verschiedenen Verfahren:

  • Im ersten Verfahren gegen den Täter A wird diesem auferlegt, statt Geldstrafe eine Geldbuße an eine gemeinnützige Einrichtung (den Verein Ausgleich) zu zahlen, da er zahlungsfähig ist.

Hierdurch werden zwei Ziele erreicht:

  1. Damit wird dem staatlichen "Strafanspruch" genüge getan und

  2. für den Täter kommt es einer fühlbaren Bestrafung mit strafähnlicher Warnfunktion gleich.
  • In einem anderen, zweiten Verfahren wird ein Täter B zur Schadenswiedergutmachung durch eine Geldleistung an das Opfer verpflichtet, obwohl er selbst kein Geld und Einkommen hat. Das Opfer bliebe daher auf seinem Schaden sitzen.

Es wird aber gleichzeitig gemeinnützige Arbeit mit einer bestimmten Stundenzahl angeordnet, durch welche er 8 Euro pro Stunde verdient, aber nicht selbst erhält. Diese Arbeitsstunden werden vom Verein Ausgleich von dem Geld bezahlt, welches der Täter A im anderen Verfahren eingezahlt hat, und dieses Geld wird direkt an den Geschädigten überwiesen.

Hierdurch werden 3 weitere Ziele erreicht:

  1. Der Geschädigte ist befriedet und im Regelfall positiv überrascht, quasi unkompliziert ohne Anwalt und Zivilprozesse zu seinem Recht zu kommen. Dies stärkt sein Vertrauen in die Gerechtigkeit und den Rechtsstaat.

  2. Er erfährt auch eine persönliche Genugtuung, weil der Täter für ihn aktiv körperlich tätig werden muss.

  3. Der arbeitslose und mittellose Täter wird zumindest zeitweise in einen Arbeitsprozess integriert und durch die Einsatzstelle und deren Mitarbeiter sozial beeinflusst.
  • Kostenneutral ist das ganze System jedoch nur, weil die Jugendgerichtshilfe mit Frau Kleuker, Frau Gleitze, Herrn Schubert, Frau Schrader, Herr Löhning und anderen mit viel Engagement und Einsatz die Arbeitsstunden vermitteln und die Mitarbeiter des Vereins, Frau Reinhardt, Herr Koch, Herr Jans und andere ehrenamtlich und ohne jede Entlastung und fremde Mittel die Geldverwaltung und Verteilung durchführen und weil die Einsatzstellen trotz aller Schwierigkeiten immer wieder Arbeitsstellen anbieten. Sie leisten damit einen ganz erheblichen Beitrag zum Erfolg.

Das Prinzip funktioniert auch nur, weil der Verein die Staatsanwälte und die Richter der örtlichen Gerichte von der Effektivität des Systems und der Zuverlässigkeit der Beteiligten und Mitarbeiter überzeugen konnte und weil diese die entsprechenden Geld- und Arbeitsauflagen erteilten.

Dieses geniale Prinzip funktioniert so gut auch nur durch die hervorragende und verständnisvolle und engagierte Zusammenarbeit aller Beteiligten, was ich aus vergangener eigener Erfahrung bestätigen kann.

Hervorzuheben ist, dass diese Form des Schadensausgleichs eben auf der geschickten Kombination der im Gesetz bereits vorhandenen Möglichkeiten beruht:

? Bei Erwachsenen im allgemeinen Strafrecht gibt § 153a Abs. l und Abs.2 StPO der Staatsanwaltschaft und den Gerichten die Möglichkeit zur Anordnung der Schadenswiedergutmachung durch Arbeitsleistung oder Geldleistung an eine gemeinnützige Einrichtung.

? Für das Jugendrecht sehen die §§ 10 und 15 JGG gleiches vor.

? Und im Rahmen von Bewährungsstrafen geben die §§ 56 b StGB und 23 JGG die gleichen Möglichkeiten.

Mit Recht weist der Verein Ausgleich in seinem Informationsblatt darauf hin, dass er sich deutlich von Täter-Opfer-Ausgleich-Projekten unterscheidet:

Während es beim Verein Ausgleich bewusst "nur" um materiellen Schadensausgleich geht, geht es bei echten TOA-Projekten nur oder auch um die persönliche Befriedung zwischen Täter und Opfer durch persönliche Kontakte, Gespräche und Vermittlungen mit wesentlich aufwändigeren Verfahrensweisen.

Es ist daher irreführend, wenn das Göttinger Tageblatt am 16.9.2006 seinen Artikel zum "Verein Ausgleich" fälschlich mit der Überschrift versieht: "Verein vermittelt zwischen Tätern und Opfern."

Dieses ist mehr Aufgabe anderer Einrichtungen, vor allem des "Göttinger Vereins für Mediation e.V.". unter Leitung von Herrn Miksa, wo überwiegend eine persönliche emotionale Aufarbeitung der Konflikte zwischen Tätern und Opfer angestrebt wird und persönliche Begegnungen stattfinden.

Daneben gibt es weitere Einrichtungen wie die "Stiftung Opferhilfe Niedersachsen", welche Büros bei allen Landgerichten hat, aber wenig in gerichtlichen Verfahren in Erscheinung tritt.

Auch der Weiße Ring wird in diesem Bereich tätig, jedoch in anderer Form.

Die Gerichtshilfe der Staatsanwaltschaft bietet sich ebenfalls als Konfliktschlichtungsstelle zur Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleich an.

Entsprechende Darstellungen und Erläuterungen befinden sich zu den genannten Einrichtungen auf deren Internetseiten, bzw. auf der Seite des Landgerichts Göttingen.

Was ist nun gerade das Besondere am Verein Ausgleich gegenüber dem sog. Täter-Opfer-Ausgleich?

Das dargelegte System ermöglicht auf schnelle und unkomplizierte Art und Weise im Bereich niederer Kriminalität eine Vielzahl von Schadensfällen auszugleichen, ohne aufwändige persönliche Kontakte und Gespräche zwischen Täter und Opfer, die häufig nicht erforderlich oder sinnvoll sind oder auch nicht vom Opfer erwünscht sind.

Die Zahlen sprechen für sich:

Im Jahre 2005 haben 108 Täter 104 Opfer durch Ableistung von 6.773 Arbeitsstunden mit insgesamt 33.901 Euro entschädigt, womit u.U. 104 Zivilprozesse erspart wurden!

In diesem Jahr sind in den ersten 8 1/2 Monaten bereits 100 Personen entschädigt und fast 36.000 Euro an Entschädigungen ausgezahlt worden!

Diese 1996 von Herrn Koch, Frau Reinhardt, Frau Kleuker und Frau Dilling-Krabbes geborene und umgesetzte Idee haben mittlerweile auch engagierte Juristen und Sozialarbeiter in anderen Gerichtsbezirken erfreulicherweise übernommen:

Prof. Schöch, früher an der Universität Göttingen, initiierte in München ebenfalls einen "Verein Ausgleich e.V.", jedoch erst 1999, also drei Jahre später. Zielsetzung des Vereins: Vermittlung von Schadensersatz und Schmerzensgeldzahlungen. In ähnlicher Weise agiert der sog. "Opferfond" - TOA Bremen, der auch erst 1999 gegründet wurde, offensichtlich aufgrund des Vorbildes Göttingen. Andere ähnliche Vereine oder Anfänge gibt es meines Wissens in Osnabrück, Hameln, Hannover etc.

Lassen Sie mich zum Schluss noch einen neuen Gedanken aufgreifen:

In einigen Städten sind in den letzten Jahren sog. "Jugendrechtshäuser" durch gemeinnützige Vereine entstanden, deren Ziele und Angebote sehr unterschiedlich und vielfältig sind und die sich auch mit Schadenswiedergutmachung befassen.

Der Grundgedanke ist meist der, als Anlaufstelle für Jugendliche und Eltern zu dienen, zu beraten, auch Rechtsrat zu erteilen und zu vermitteln und zu schulen, wobei ehrenamtliche Mitarbeiter aus allen Bereichen tätig sind: Richter, Staatsanwälte, Polizei, Sozialarbeiter, Psychologen, Lehrer, Drogenberater ... In Niedersachsen sind derartige Häuser noch im Aufbau, z.B. ab November in Braunschweig.

Es würde sich anbieten, einen Verein wie den "Verein Ausgleich" in eine derartige in Göttingen zu gründende Einrichtung eines Tages zu integrieren.

Derzeit halte ich für den Verein Ausgleich den bisher eingeschlagenen Weg und das praktische System aus der Zusammenarbeit der vier Säulen, nämlich Gericht, Jugendamt, Einsatzstellen, Verein Ausgleich, für den besten Weg, zumal er praktisch, schnell und wirkungsvoll ist.

Ich selbst habe vom Anfang an auf Seiten des Gerichts das Projekt "Verein Ausgleich" unterstützt und war deshalb bislang nicht Mitglied des Vereins. Ich möchte jedoch, nachdem ich nun pensioniert worden bin, hier und heute den Antrag auf Mitgliedschaft stellen, um auch weiterhin die Tätigkeit des Vereins und der Mitarbeiter der Einsatzstellen unterstützen zu können.

Ich danke Ihnen.

lg-goe-Ausgleich 10 Jahre_s04
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